24/11/2020 | Tipps und Tricks
In-Line Vorderlader mit modernem Nitropulver schiessen
„Black Powder only“ steht auf den gängigen Vorderladerrepliken und auch auf den meisten modernen In-Line Vorderladern aus den USA. Bei den Warnhinweisen wird zudem vor der Verwendung von Nitropulver ausdrücklich gewarnt. Warum dann dieser Beitrag? Ist es nicht sehr gefährlich, Vorderlader mit modernem Nitropulver zu schiessen?
Ja, es ist gefährlich! Vor allem wenn bestimmte Regeln nicht eingehalten werden. Dazu gehören, wie beim Wiederladen von Patronen für Hinterlader, die Verwendung von geeignetem Pulver, das strikte Einhalten der Ladungsmenge, die passende Zündung, das passende Geschoss – speziell das Gewicht -, etc. Eigentlich ist ein Vorderlader ein hülsenloses Gewehr, das für einen spezifischen Zündmechanismus und Druck ausgelegt ist und vor jedem Schuss wieder geladen wird.
Gibt es überhaupt Vorderlader, die neben Schwarzpulver mit modernem Nitropulver geschossen werden dürfen? Ja: die amerikanische Firma Savage® Arms in Westfield, Massachusetts, USA baute einige Jahre die 10ML II. Es handelt sich dabei um In-Line Vorderlader im Kaliber .50, der für verschiedene Typen von Nitropulver ausgelegt ist. Damit können für Spitzgeschosse bis 300 grain (19.4 g) und einer Zündung mit Zündkapseln Typ 209A (Zündkapseln für Schrot) und der Verwendung von Sabots (Kunststofftreibspiegel) Mündungsgeschwindigkeiten von bis zu 700 m/Sek. erreicht werden. Als Pulver werden im Handbuch u.A. in USA gängige Typen wie IMR® SR 4227 und SR 4759, Vihtavuori® N110 und N120 genannt.
Unten die Abbildung der Savage® Arms 10MLII mit Eigenbau-Buchen-Schichtholzschaft, der den Scheibenstutzern Mitte des 19. Jahrhunderts nachempfunden ist (Abbildung 1: 10MLII ist das Gewehr unten).
Abbildung 4 zeigt Details der Eigenbau-Kugelzange nach häufigem Gebrauch.
Wie man sieht, gibt es sie also, die Vorderlader, die mit Nitropulver geschossen werden dürfen! Der beim Schuss mit voller Ladung auftretende Rückschlag ist jedoch erheblich! Daher habe ich verschiedene schwächere Ladungen für IMR® SR 4227 ausprobiert: mit 35 grain (2.27 g) habe ich eine Mündungsgeschwindigkeit von 450 m/Sek und mit 28 grain (1.81 g) eine Mündungsgeschwindigkeit von 350 m/Sek gemessen. Der Rückschlag war erheblich schwächer.
Negativ war jedoch, dass die schwächeren Ladungen nicht vollständig verbrannten; es blieben einige unverbrannte Pulverkörner im Lauf zurück. Das war bei der Ladung mit 28 grain stärker ausgeprägt. Zudem zündeten die Ladungen nicht zuverlässig. Ich verschiesse wie bei allen meinen Vorderladern immer zuerst eine Zündkapsel oder ein Zündhütchen blind und lade dann die Ladung. Beim ersten Schuss wurde häufig das Geschoss durch den Druck der Zündkapsel nach vorne geschoben, die Ladung selber zündete jedoch nicht. Nach dem 2-ten Schuss und leichter Verschmauchung des Laufes trat dieses Problem meist nicht mehr auf.
Zur Abhilfe wickelte ich zuerst einen dünnen einlagigen Papierstreifen um das Geschoss, so dass es mit Sabot nur unter grossem Widerstand in den Lauf gestossen werden konnte. Damit wurde das Problem gehoben und die Ladungen zündeten zuverlässig. Jedoch war mir dieser Ladevorgang zu umständlich und ich vermisste den Komfort des relativ leichtgängigen Ladevorgangs bei der vollen Ladung. Als Alternative bot sich an, das Geschoss/Sabot zusätzlich zu verdämmen. Nach einigen Versuchen war ich mit 3 X 1 Blatt Toilettenpapier erfolgreich. Die 3 Einzelpfropfen stellen kaum ein zusätzliches Gewicht dar und halten das Geschoss bei der Zündung zurück.
Mittlerweile ist es so, dass die amerikanischen Pulver, wie IMR® SR 4227 hierzulande sowohl teuer als auch schlecht erhältlich sind. Ich habe daher bei ReloadSwiss wegen eines Vergleichstyps und Ladedaten für 450 m/Sek angefragt, die mir freundlicherweise von Herr D. Antenen für RS36 zur Verfügung gestellt wurden: mit 28 grain (1.81 g) ist eine Mündungsgeschwindigkeit von 360 m/Sek und ein Maximaldruck von 490 bar, mit 34.7 grain (2.24 g) ist eine Mündungsgeschwindigkeit von 450 m/Sek und ein Maximaldruck von 800 bar und mit 42 grain (2.72 g) sind 540 m/Sek und ein Maximaldruck von ca. 1300 bar zu erwarten.
Ich habe sowohl 28 grain und 34 grain ausprobiert und ca. 350 m/Sek und ca. 460 m/Sek gemessen. Auch hier stimmen die Messwerte sehr gut mit der Simulation überein.
Neben der Savage® Arms 10MLII habe ich noch ein Schwarzpulver In-Line Gewehr von CVA®, Duluth, Georgia, USA. Die „Buckhorn“ im Kaliber .50 (oberes Gewehr in Abbildung 1). Es wird auch mit 209A Zündkapseln gezündet und ist ausgesprochen einfach aufgebaut. Abbildung 5 zeigt demontiert die Verschlussschraube des Laufs, den Schlagbolzen, die Schlagbolzenfeder und die Verschlussschraube der Feder und Abbildung 6 den zurückgezogenen / gespannten Schlagbolzen und die eingeschraubte Verschlussschraube. Das Gewehr ist für Magnum Ladungen von 150 grain (9.7 g!) Schwarzpulver ausgelegt. Vor der Verwendung von Nitropulver wird gewarnt.
Wesentlich ist die Druckbeständigkeit des Laufes und der Verschlussschraube. CVA gibt keinen Beschussdruck an. Im Internet ist es zudem schwer, zuverlässige Druckangaben für Schwarzpulverwaffen zu finden. Ich habe mich daher an Versuchen, die ich vor vielen Jahren mit verschiedenen Schwarzpulversorten in einem kurzen Schussblock mit Spitzengasdruckmesser durchgeführt habe orientiert. Ich hatte seinerzeit bis zu 1'400 bar gemessen. Das ist vergleichbar mit dem zu erwartenden Druck z.B. der Vetterli-Patrone von 1869, die mit Schwarzpulver und mit Kordit geladen wurde. Als weitere Orientierung habe ich die Angaben des Webley-Revolvers genommen, der auch mit Schwarzpulver und mit Kordit geschossen wurde. Er ist für maximal ca. 900 bar zugelassen.
In einem Schusskeller habe ich daher die CVA Buckhorn mehrmals mit 34 grain (2.2 g) RS36, einem .452 Geschoss mit 300 grain (19.4 g), 209A Zündkapseln von RWS und Fernabzug ausprobiert. Die Ladung wurde, wie oben beschrieben mit 3 X 1 Blatt Toilettenpapier verdämmt. Bei dieser Ladung erwarte ich einen Maximaldruck von ca. 750 bar. Das Gewehr hat diesen Test problemlos überstanden.
Das Bild der abgeschossenen Zündkapseln war auch in Ordnung; sie zeigen deutliche Schmauchspuren, waren aber intakt und mit den abgeschossenen Zündkapseln der Savage® Arms 10MLII bei ähnlichen Ladungen oder mit Schwarzpulverladungen von 80 grain (5.2 g) Schwarzpulver No. 3 in der CVA® Buckhorn vergleichbar.
Unten in Abbildung 7 noch die Ladungskomponenten Zündkapsel, Sabot, Geschoss, RS36 abgemessen im Transportbehälter aus PVC-Schlauch mit Holzstopfen, 3 Blatt Toilettenpapier und Pulvermass.
Zuletzt eine Bemerkung zum Schussbild für diese Ladungen: ich schiesse die Savage Arms 10MLII stehend auf eine Distanz von 50 m auf dieselbe (Wettkampf)-Schwarzpulverscheibe, wie z.B. meinen 1851-er Stutzer in 10.4 mm oder ein Vetterli Gewehr. Ich bin ein mässiger Schütze und habe Gruppenbilder selten unter 7 (von 10). Das Gewehr schiesst also genauer als ich.
Zusammenfassend möchte ich anfügen, dass man unter Eigenverantwortung und notwendiger Vorsicht durchaus modernes Nitropulver – z.B. RS36 – aus modernen In-Line Vorderladern verschiessen kann, die für eine Zündung mit 209A Zündkapseln eingerichtet sind, was wahrscheinlich nicht allzu bekannt ist.
Dabei schätze ich neben der Möglichkeit, die Ladung den Gegebenheiten einfach anzupassen auch den erheblich geringeren Reinigungsaufwand nach dem Schuss. Es gibt kaum Rückstände und eine Ölreinigung reicht. Meine Schwarzpulverwaffen reinige ich in der Reihenfolge heisses Wasser mit Seife, Spiritus (um das Wasser zu entfernen), Kriechöl und Waffenöl; was für ein Unterschied!
Bei Repliken, die mit einer klassische Perkussionszündung ausgerüstet sind oder gar bei Stein- oder Luntenschlosswaffen rate ich jedoch dringend, von irgendwelchen Versuchen mit Nitropulver abzusehen. Zudem weise ich darauf hin, dass die Vorschriften zur Verwendung von Vorderladern, wie von anderen Waffen zu beachten sind und lehne auch jede Verantwortung ab.
Mit freundlichen Grüssen
Dr. Ulrich Daum